Das Politik viel mit Emotionen zu tun haben kann, zeigte sich am Abend der Bundestagswahl. Bei den einen strahlende Gesichter, bei den anderen verhaltene Freude, bei den Nächsten Enttäuschung, bei weiteren blankes Entsetzen und Tränen. Anders als es ihr Wahlkampf erwarten hat lassen, wurde die Bundestagswahl 2013 zu einer Zäsur im Parteienbild Deutschlands. Es ist die Rückkehr zu einer Volkspartei und vielleicht dem Ende einer langen Traditionspartei.

Es ist ein schöner Sonntag. Eigentlich perfektes Wetter, um einen Spaziergang mit dem Wahlgang zu verbinden. Am Morgen ist noch nicht klar was der Abend bringen wird. Die Umfragen sehen eine Pattsituation. Sie sehen die fünf Parteien des aktuellen Bundestags auch in der neuen Legislaturperiode, aber keine eindeutige Mehrheit für Schwarz-Gelb. Alles deutet auf eine große Koalition hin. Aber die Vergangenheit zeigte immer wieder, dass es nur Umfragen sind und die Wähler ihre Kreuze am Wahltag nicht immer so setzen wie die Umfragen es zeigen. Man erinnert sich in der SPD gerne an die Aufholjagd 2005, als die SPD fast die stärkste Partei stellte, obwohl Umfragen im Vorfeld die Union als klaren Sieger sahen. Bei nicht wenigen Sympathisanten der SPD schwang nach dem schlechten Abschneiden 2009 wohl diese Hoffnung bei der diesjährigen Bundestagswahl mit. Die SPD konnte im Wahlkampf schon immer für Überraschungen sorgen. Die Partei um Peer Steinbrück konnte zwar zulegen, aber nicht im erhofften Maße und für Überraschung sorgten andere Parteien. Die Union, die FDP und die AfD.

Die Union holte ein fulminantes Ergebnis. 41,5 % ist eine klare Aussage der Wähler hin zu einer Regierungsaufgabe. Die CSU holte eine Woche vor der Bundestagswahl die absolute Mehrheit in Bayern. Gestärkt daraus konnte die Union auch fast im Bund die absolute Mehrheit holen. Bei insgesamt 630 Sitzen holte die Union insgesamt 311. Fünf Sitze fehlten letztendlich zur absoluten Mehrheit. Merkel auf dem Weg Adenauers. Das interessante ist, dass die Union nicht der Union wegen zu so einem fulminantem Ergebnis kam. Waren es 2005 noch 16 % die die Union wegen Angela Merkel wählten, waren es 2013 nun 38%. Auch wenn man mit der Partei nicht unbedingt zufrieden ist, denkt die Mehrheit Angela Merkel vertrete Deutschland gut in der Welt. Es war also keine Wahl für eine Partei und ihr Parteiprogramm, sondern eine Personenwahl. Nun liegt der Ball, wie es Peer Steinbrück ausgedrückt hatte, bei Angela Merkel. Sie steht nun vor der Aufgabe eine Regierung zu bilden. Aber ihr ehemaliger Lieblingskoalitionspartner existiert nicht mehr.

Es ist etwas geschehen, was wenige für möglich gehalten haben. Schon gar nicht die Mitglieder der FDP. Die Partei die am längsten in der Regierungsverantwortung stand, länger als Union oder SPD, ist nicht mehr im Bundestag. Krachend flog sie nacheinander aus den Landtagen der Bundesrepublik, mit einzelnen Ausnahmen. Zuletzt flog sie in Bayern aus der Regierung und aus dem Landtag. Da hieß es noch in Bayern würden die Uhren anders schlagen, aber nervös war man trotzdem. Es ginge nun um alles, um Deutschland. In Bayern war die FDP letztendlich wirklich noch nie eine Traditionspartei. Es war nicht unbedingt anzunehmen, dass die FDP im Bund das gleiche Schicksal erleiden würde. Aber die Umfragen und das Ergebnis aus Bayern schockte die Spitze der FDP dennoch. Dass man vor einem möglichen Abgrund stand war den letzten klar geworden. Der letzte Ausweg eine Zweitstimmenkampagne? Rainer Brüderle scheute sich nicht zu sagen: „Wer Merkel haben will, wählt FDP“. Es erinnerte stark an den Wahlkampf von 1994. Dort hieß es: „FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt.“ Und: „Diesmal geht’s um alles“, 2013 hieß es: „Jetzt geht’s ums Ganze.“ Vor nicht all zu langer Zeit kritisierte Philipp Rösler das Betteln von 1994 als „beschämend“. 2013 hat er selbst gebettelt. Schnell könnte man dieses Verhalten mit Häme und Spott überschütten. Aber es zeigt auch die Verzweiflung der Partei, die um ihr Überleben kämpft. Die Angst davor in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.

Nun ist es aber passiert. Die Wähler waren wohl der Meinung, wenn sie Merkel wählen wollen, wählen sie nicht die FDP, sondern gleich die Union. Mit 4,8 % schafft die FDP die Hürde von 5 % nicht und fliegt aus dem Bundestag. Für die Partei ist dies eine Zäsur, aber auch für die deutsche Parteienlandschaft. Zum ersten Mal ist keine liberale Partei im deutschen Bundestag vertreten. Und es dürfte auch eine Lehrstunde der Geschichte sein, mit dem jemals stärksten Ergebnis in eine Regierung gewählt zu werden, um bei der nächsten Wahl nicht nur aus der Regierung, sondern auch aus dem Bundestag zu fliegen. Fassungslosigkeit und Tränen machten sich am Wahlabend breit. In Hessen, wo die Landtagswahl parallel zur Bundestagswahl stattfand, lag man lange auch unter 5 %. Erst tief in der Nacht die Erleichterung. Mit 5,0 % schafft die FDP es gerade noch so in den hessischen Landtag. Ein Wermutstropfen, wenn man bedenkt, dass sie im Bund in der außerparlamentarischen Opposition gelandet ist.

Sie wurde abgewählt, ohne Mitleid aus dem Bundestag befördert. Woran lag es also, dass sie so abgestraft wurden? Obwohl sie wesentlich an der Abschaffung der Praxisgebühr mitgewirkt hatte, obwohl sie mit Joachim Gauck einen vernünftigen Nachfolger von Christian Wulff ins Amt gehoben haben. Nicht alles war schlecht, aber auch nicht alles war gut. Die Wähler haben die FDP abgestraft, weil sie viel versprochen hatte, aber wenig gehalten hatte bzw. halten konnte. Allen voran war das Versprechen für Steuererleichterungen, für eine einfachere Steuer. Diese kam aber nie. Allein was kam war eine Erleichterung für Hoteliers. Schnell lag der Vorwurf einer Klientelpartei in der Luft. Dazu kam ein überaus selbstbewusstes Auftreten, aber aus dem Schatten der Union kam man nie wirklich heraus. Die FDP konnte keine eigenen Akzente setzen. Angela Merkel konnte sich, wie schon in der großen Koalition zuvor, die beliebten Erfolge auf sich verbuchen. Die eher unbeliebten Entscheidungen konnte sie auf den Koalitionspartner abwälzen. Die Union trug genauso die Mehrwertsteuer für die Hoteliers mit, aber allein die FDP ist die Schuldige dafür. Aber allein der Schatten von Angela Merkel führte nicht zum Ergebnis der FDP. Mit der Aufstellung von Joachim Gauck als Bundespräsidenten wollte die FDP, allen voran Philipp Rösler Macht demonstrieren. Man ist alles andere als eine kleine unbedeutende Partei, die die Mehrheit der Kanzlerin sichert. Es war ein Coup ohne Frage, aber auf lange Sicht hat es nichts genutzt. Womöglich ließ die Bundeskanzlerin die FDP dafür auch büßen. Kaum anders lässt sich auch erklären warum die FDP in Sachen NSA und der Spähaffäre so still und blass blieb. Womöglich wurde sie gezwungen bis nach der Wahl zu den Themen zu schweigen. Selbst eine Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die 1996 als Bundesjustizministerin aus Protest gegen den großen Lauschangriff zurücktrat, was ihr großen Respekt verschaffte, blieb in den Fragen um PRISM und Co. eher blass.

Personell konnte weder Philipp Rösler noch Rainer Brüderle so richtig überzeugen. Schon gar nicht kam ein richtiges Wahlkampfkonzept rüber. Allein vom Schüren der Angst vor einem Rot-Rot-Grünen Feind kann kein Wahlkampf gewonnen werden. Die FDP hat eine echte Führungslinie vermissen lassen. Interessanterweise konnte keine Partei mit einer wahrnehmbaren Doppelspitze an Stimmen zulegen. Wahrscheinlich ein Indiz dafür, dass die Wähler eine Figur im Wahlkampf sehen möchten, die eine Partei nach Außen hin präsentiert. Bei der FDP konnten das beide nicht. Rainer Brüderle wirkte zudem extrem müde im Wahlkampf. Er war gesundheitlich angeschlagen und vielleicht war dieser Wahlkampf zu viel für ihn. Viel versprochen, wenig gehalten, einiges falsch vermittelt. Das ist das beste Rezept um Wähler zu vergraulen. Christian Lindner berichtete jüngst in einem Interview auf SPIEGEL ONLINE er habe viele Zuschriften bekommen, in denen unter anderem standen, man habe aus Notwehr die FDP nicht gewählt, um einen Neuanfang zu erzwingen. Wenn dies der Fall sein sollte, zeigt dies wie sehr die Vorstellungen der FDP-Wähler und der FDP-Führung auseinander klafften. Allein mit einem Wahlkampf anzutreten, der vieles im Dunklen lässt und wenig auf die eigenen Zielsetzungen verweist kann nur die Kanzlerin.

Natürlich hatte das Ausscheiden aus dem Bundestag einige personelle Folgen. Der gesamte Bundesvorstand ist zurück getreten. Aber auch viele Mitarbeiter (ca. 500) der FDP im Bundestag sind auf einmal arbeitslos. Unverständlich allerdings ist es dies zu beklatschen und mit Spott und Häme zu überschütten. Bei Schlecker wurde gleich gerufen, alle müssen irgendwie gerettet werden und jetzt wird geklatscht? Als Revanche für die (wohl richtige) Haltung der FDP gegenüber den Schlecker-Mitarbeitern? Diese Haltung ist einer Demokratie nicht würdig.

Nun hat Christian Lindner seine Bewerbung für Bundesvorsitz angekündigt. Mit einer Runderneuerung will er die FDP wieder auf die Spur bringen. Wieder eine Partei mehr in der Mitte. Die eigenen Ziele sollen wieder besser vermittelt werden, damit man weg vom Image einer Besserverdienerpartei kommt. Und vor allem soll der liberale Gedanke wieder einen größeren Stellenwert bekommen. Wolfgang Kubicki, der für den Parteivize antreten will, geht sogar soweit zu sagen, man dürfe sich nicht mehr starr auf die Union als Koalitionspartner einlassen. Wenn Lindner in den Bundesvorsitz gewählt wird hat er einiges an Arbeit vor sich. Immerhin ist man noch in einigen Landtagen vertreten. Aber einfach wird es bestimmt nicht. Lindner gilt als junges Talent. Auf der Bühne hat er wohl mehr Talent als ein Philipp Rösler, aber es muss sich noch zeigen ob er auch in schwierigen Zeiten standhaft bleibt. Jüngst zeigte aber auch die Bergung der Costa Concordia, dass durchaus schwierige Aktionen gelingen können. Eine Neuausrichtung der FDP ist dringend von Nöten. Sollte dies nicht geschehen und vor allem nicht gelingen wird für sie wahrscheinlich dauerhaft der Vorhang der politischen Bühne zu gehen. Auf der anderen Seite ist der liberale Gedanke ein so altes Gut, dass unter gewissen Umständen es nicht auszuschließen ist, dass eine andere, neue liberale Partei die politische Bühne betritt.

Aber nicht nur die FDP musste Blutzoll zahlen. Auch die Grünen blieben weit hinter ihren Erwartungen. Sie sind mit der Aufgabe angetreten Schwarz-Gelb abzulösen und gleichzeitig ein zweistelliges Ergebnis zu erreichen. Beides haben sie nicht geschafft. Vielleicht noch Gelb abzulösen, aber die Kanzlerin ist immer noch an der Macht. Die schlechten Ergebnisse der Grünen werden mit einem all zu linken Ruck der Partei im Wahlkampf begründet. Rauf mit den Steuern und der sagenumwogene „Veggie-Day“ bestimmten die politische Diskussion der Grünen vor der Wahl. Letztendlich hatten die Grünen das Image einer Bevormundungspartei erreicht und die Schelte gegenüber den Führungspositionen nach der Wahl war entsprechend groß. Ihr eigentliches Thema, dass der Energiewende und dem Klimaschutz konnten sie nicht ausspielen. Die Wähler räumten der Union mittlerweile genauso viel Kompetenz bei der Umsetzung der Energiewende ein wie den Grünen. Und der Klimaschutz war nicht Hauptthema des Wahlkampfes der Grünen, das waren die Steuern. Unzufriedenheit mit dem von Jürgen Trittin geführten Wahlkampf führten letztendlich dazu, dass auch er seinen Posten, wenn auch mit Verzögerung, frei gab. Claudia Roth und Renate Künast machten es ihm vor, wie es geht. Wo es die Grünen nun genau hinverschlägt wird sich zeigen. Nicht von der Hand zu weisen wäre eine Koalition mit der Union. Die Kräfte die immer dagegen waren sind erst einmal aus dem Weg. Aber der Weg zur Union könnte auch eine tiefe Spaltung der Partei hervorrufen. Aber vielleicht macht es die Union den Grünen erst ein mal selbst einfach. Die CSU bekundete, dass es mit ihnen keine Verhandlungen mit den Grünen geben wird.

Es werden definitiv spannende Wochen. Wer wird mit wem. Wer will mit wem? Angela Merkel hat mit der Union ein überzeugendes Ergebnis geholt, aber die Frage wird sein, wie teuer wird dieser Sieg noch werden? Die SPD scheut sich noch. Die Bedenken sind nicht klein, wenn man an die große Koalition denkt, aus der die SPD eher geschwächt hervor ging und sich bisher nicht mehr richtig erholen konnte, auch wenn das nicht allein an der Kanzlerin liegen mag. Der größte Landesverband der SPD scheut sich vor einer großen Koalition. Man wurde vom Wähler schließlich mit einem Oppositionsauftrag ausgestattet. Es ist nicht auszuschließen, dass Frau Merkel viel in die Waagschale werfen muss, wenn sie eine große Koalition eingehen möchte. Von Ministerposten bis hin zu Wahlkampfthemen, die sie eigentlich ausgeschlossen hatte. Und das gilt nicht nur für die SPD, sondern auch für die CSU. Interessant wäre da auch eine große Koalition ohne die CSU, aber das sei nur ein Gedankenspiel. Aber wenn man sich ernsthaft Gedanken über eine große Koalition macht, was würde das überhaupt für die Demokratie bedeuten?

Würde es eine große Koalition mit der CDU/CSU und SPD geben wäre das eigentlich fatal für eine parlamentarische Demokratie. Denn die Opposition würde faktisch nicht bestehen. Die Grünen und Linken holten zusammen nur 127 Sitze im Bundestag. 503 Sitze wären es für die große Koalition. Damit hätten sie rein rechnerisch immer eine 2/3 Mehrheit. Die Regierung könnte also walten und schalten wie ihr beliebt. Nimmt man an, dass von Anfang an Harmonie herrscht und alles zufriedenstellend an Ministerposten verteilt wurde und auch der Koalitionsvertrag entsprechend zufriedenstellend ausgefallen ist, könnte man jedes Gesetz durchbringen was man durchbringen könnte. Ohne nennenswerten Gegenwind. Das dies in der Realität wohl eher nicht der Fall sein wird ist klar, aber diesen Punkt sollte man sich im Hinterkopf behalten.

Was also dann? Schwarz-Grün oder vielleicht doch eine Minderheitsregierung? Oder Neuwahlen? Es wird eine spannende Zeit ohne Frage. Muss es ja auch irgendwie nach einer solchen historischen Zensur.