Die Chinesin Ye Shiwen hat jüngst zweimal die Goldmedaille bei den olympischen Spielen 2012 in London erschwommen. Das erscheint erst einmal normal, wäre die Chinesin nicht erst 16 Jahre alt. Und sie schwamm über die doppelte Distanz auf den letzten 50 Metern schneller als US-Star Ryan Lochte. Dopingvorwürfe sind daher schnell gemacht. Doch man muss sich auch gerechterweise fragen, ob dies wirklich gerecht ist.

Die deutschen Schwimmer werden wohl ziemlich absaufen. Aber Stoff zum Reden ist beim Schwimmen trotzdem da. Zum Beispiel Michael Phelps, der jetzt der Herr der Ringe ist. Kein Athlet hat mehr Goldmedaillen in der Tasche als er. Oder die 15-jährige Rūta Meilutytė aus Litauen, die die erste Medaillensiegerin aus Litauen ist, sowie die jüngste Olympiasiegerin. Oder eben über die 16-jährige Chinesin Ye Shiwen, die ebenfalls mit ihren jungen Jahren überzeugend Gold geholt hatte, zudem noch schneller schwamm als männliche Mitstreiter, wie Ryan Lochte.

Das kann nicht sein, so verlautbart es John Leonard, der Chef der US-Trainervereinigung. Für ihn ist diese Leistung schlichtweg „unglaubwürdig“. Sprich, es muss was faul sein an der ganzen Sache. Also durch die Blume gesprochen, sie muss wohl gedopt sein. Ihre Leistung ist wahrlich erstaunlich, aber junge Talente kannte die olympische Geschichte immer wieder.

Mit 14 Jahren schwamm eine talentierte Schwimmerin Kurzbahn-Weltrekord über 50m Freistil. Beinahe schlug sie, ebenfalls mit 14 Jahren, bei ihrem olympischen Debüt die Favoriten und gewann die Silbermedaille. Dazu Silber mit der 4x100m-Lagen-Staffel und Bronze über 100m Freistil. Das alles war im Jahr 1992. Nach den olympischen Spielen im Jahr 1992 in Barcelona avancierte sie zum neuen Sportlerstar. Ihr Name: Franziska van Almsick.

Damals hatte nie jemand über Doping geredet, eher von einem Jahrhunderttalent. Alle waren im Rausch vom neuen Star. Allerdings gelang ihr nie eine olympische Goldmedaille zu holen. Anders verhält es sich jetzt bei der Chinesin Ye Shiwen. Sie hat ihre Goldmedaille, ist wohl auch ein Riesentalent, dass seit ihrer Kindheit gefördert wurde, aber sie plagen Dopingvorwürfe.

Rūta Meilutytė, die 15-jährige Olympiasiegerin, hingegen ergeht es ganz anders. Sie war vor den olympischen Spielen gar nicht so richtig auf dem Radar der Experten. Sie steigerte ihre Leistungen um 2 Sekunden innerhalb von vier Monaten. Ein wenig seltsam mag dies auch sein, aber hier ist John Leonard plötzlich ganz anderer Meinung: „Sie ist einfach nur sehr gut und sehr schnell.“ Scheinbar wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Es scheint fast ein gewollter Konflikt zwischen Ost und West zu sein, wie je her.

Kann man sich dennoch die Leistungssteigerungen, z.B. der 15-Jährigen, erklären? Es ist nicht auszuschließen, dass junge Menschen in diesem Alter gewaltige körperliche Entwicklungen machen und daher auch ihre eigenen körperlichen Leistungen innerhalb kurzer Zeit enorm steigern können. Zudem spielt Kraft beim Schwimmen nicht allein. Die Technik macht ebenso viel aus. Unmöglich scheint es daher nicht, enorme Steigerungen seiner Leistung zu ermöglichen.

Zudem muss man die Aussage, dass die Chinesin schneller als Ryan Lochte geschwommen sei, genauer betrachten. Sie ist über 50m schneller als er geschwommen. Allerdings schneller als Lochte auf seiner letzten Bahn über 400m. Davor schwamm der US-Amerikaner auf den einzelnen Bahnen immer schneller als Shiwen. Trotzdem bleibt, auch die westliche Presse, bei ihrer Meinung, dass dies nicht mit rechten Dingen zu tun hat.

Die Chinesin hingegen nimmt das ganze allerdings etwas gelassener, geht sogar zum Konter über. Sie vermerkt, dass Schwimmer aus anderen Nationen auch viele Medaillen gewonnen haben, aber nur sie kritisiert werde. Der Konter sitzt und ist auch berechtigt. Kritik kommt hauptsächlich aus westlichen Ländern. Die 15-Jährige Litauerin schwamm überraschend auf Gold. Es gab keine Kritik. Damals bei Franziska van Almsick, gab es auch keine Kritik. Als ein Michael Phelps Sieg um Sieg, Medaille um Medaille mit fabelhaftem Rekord erschwamm, gab es keine vergleichbare Kritik. Als die US-Staffel ihre Leistung bei den Olympischen Spielen 2008 um knallharte 10 Sekunden im Vergleich zu den Spielen 2004 verbessern konnte gab es ebenfalls kaum Kritik. Als die Staffel der Amerikaner dieses Jahr den Konkurrenten wieder einfach locker davon schwamm, gab es keine vergleichbare Kritik. Sind dort alles Wunderschwimmer? Die Amerikaner waren schon immer sehr stark im Schwimmen, aber wenn man Maß mit Maß messen würde, müsste man auch hier stutzig werden, dass alle US-Schwimmer ihren Gegnern so weit überlegen sind.

Vielleicht sind auch alle gedopt, bzw. all jene, die vorne mit schwimmen. Vielleicht ist das Nicht-Dopen eher die Ausnahme als die Regel. Vielleicht muss der Zuschauer sich zufrieden geben, dass man ohne leistungssteigernde Mittel nicht noch weiter gehen kann, als man es bisher schon getan hat. Oder man akzeptiert das Dopen, wenn man immer mehr Bestleistungen sehen möchte. Aber trotz allem. Ob Doping oder nicht, trotz Vorwürfen und Nachreden, sollte man eins im Hinterkopf behalten: Man ist solange unschuldig, bis einem die Schuld nachgewiesen wurde!


Neben den vielleicht nicht so schönen Auseinandersetzungen zwischen Presse und der Schwimmerin Ye Shiwen gibt es auch Gewinner bei der diesjährigen Olympia, die man vielleicht nennen sollte. So haben erstmals alle teilnehmende Staaten Sportlerinnen zu den olympischen Spielen geschickt. Obwohl der olympische Auftritt oft sehr kurz ist (so dauerte der Auftritt der saudi-arabischen Judo-Schwergewichtlerin Wodjan Shaherkani nur 82 Sekunden), dürfte das für die Frauen und für die Länder (Saudi-Arabien, Katar und Brunei) ein Mehrgewinn sein. Allerdings muss sich dies erst noch zeigen.

Ein weiterer vermeintlicher Gewinner ist Oscar Pistorius, der es ins Halbfinale über 400m geschafft hat. Nicht weil er Südafrikaner ist, vielmehr weil er Prothesen an beiden Beinen hat und somit ein behinderter Sportler der bei den normalen olympischen Spielen teilnimmt und erfolgreich ist. Bei den Paralympics 2008 hatte er Gold über 100, 200 und 400 Meter geholt. Auch in London will er an den Paralympics teilnehmen. Allerdings könnte man hier bei ihm auch von Materialdoping sprechen.