Je suis Böhmi? Wenn man dachte Extra 3 hätte mit seinem satirischen Beitrag einen Eklat zwischen der Türkei und Deutschland ausgelöst, muss man sich fragen was Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedicht ausgelöst hat. Eine weniger kleine bis große Staatsaffäre?!
Das Jan Böhmermann die Politik in Wallung bringen kann zeigte er spätestens seit seinem Coup mit dem angeblichen Mittelfinger von Yanis Varoufakis. Damals spielte er gekonnt mit den Ebenen des Seins und Nichtseins. Des nebulösen Umgangs zwischen Wahrheit und Fälschung und legte die mediale Elite der Republik herein. Jetzt forderte er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan heraus, der alles andere als Spaß versteht und bringt damit gleichzeitig die Beziehungen zur Türkei auf eine neue Zerreißprobe. Und wenn das nicht genug wäre, wird wahrscheinlich erneut darüber diskutiert werden, was Satire alles darf.
Was Böhmermanns Ziel ursprünglich war bleibt wohl noch im Verborgenen, bis er sich dazu genauer erklärt, wenn er das überhaupt macht. Aber eins ist jetzt schon klar, egal was er damit wirklich beabsichtigt hatte, zeigt die Aktion, dass sie einigen politischen aber auch gesellschaftlichen Zündstoff beinhaltet.
Die Aktion zeigt, wie sehr sich die Türkei mit deutschem Recht auskennt, welches einen Paragrafen beinhaltet, der ausländische Staatsoberhäupter vor Beleidigung schützt und den Urheber der Beleidigung ein Strafverfahren eröffnet. Allerdings erst nach Zustimmung der Regierung. Ein Relikt aus Kaiserzeiten, das aber Angela Merkel zunächst in Bedrängnis brachte. Denn Merkels Fundament für die Lösung der Flüchtlingskrise ist der Deal mit der Türkei. Alles fußt darauf und die Bundeskanzlerin braucht eine besondere Umgehensweise mit dem türkischen Präsidenten. Der Türkei-Flüchtlings-Deal mag moralisch fragwürdig sein, aber Realpolitik kann nicht immer auf den ehrbarsten Prinzipien ruhen.
Es schien, als könne sie sich nur zwischen Meinungsfreiheit und Kuschen vor Erdogan entscheiden und könnte eigentlich nur verlieren. Jetzt hat sie sich für Erdogan, gegen die Meinungs- und Kunstfreiheit entschieden? Nach den Attentaten auf Charlie Hepdo lief sie noch ganz vorne mit, als es hieß JeSuisCharlie und jetzt die Kehrtwende? Ist es eine Abkehr von Grundrechten, wenn es ihr dienlich ist? Sie hat sich entschieden, dass das Recht über den Fall Böhmermann entscheiden soll. Gleichzeitig hat sie angekündigt den Paragrafen 103 StGB abzuschaffen, möglicherweise um weitere solcher Fälle abzuwenden, allerdings erst ab 2018. Auch wenn sie nun von vielen Seiten kritisiert wird, hat sie damit wohl die Entscheidung getroffen, die ihr am ehesten passt. Einerseits ist Böhmermann damit noch nicht verurteilt, andererseits kommt sie damit Erdogan entgegen, um ihn zu besänftigen.
Man kann ihr damit auf jeden Fall vorwerfen sie kusche vor Erdogan und liefere Böhmermann damit ans Messer, nur um ihren Deal nicht zu gefährden. Und natürlich birgt es weiter die Gefahr sich immer mehr von Erdogan abhängig zu machen. Wann ist eine Grenze überschritten, bei der sie nicht mehr nachgeben wird?
Man könnte die Aktion aber auch so deuten, dass sie damit ein Zeichen für den Rechtsstaat in Deutschland setzen möchte und Erdogan mitteilen möchte, hier in Deutschland existiert ein Rechtsstaat der Urteile fällt und nicht die Regierung. Anders als in der Türkei, wo der Rechtsstaat immer mehr unterwandert wird, wenn sich ihr Staatschef über Entscheidungen der Gerichte hinwegsetzt. Die meisten Experten sehen Böhmernann mit einem blauen Auge davonkommen und damit könnte auch Merkel mit einem blauen Auge davonkommen. Hätte sie sich für das Strafverfahren entschieden, wenn die Zeichen darauf hingedeutet hätten, dass Böhmermann mit Sicherheit in den Knast gekommen wäre?
Dass nun die Justiz entscheidet könnte allerdings auch zum Bumerang werden, wenn Erdogan das Urteil vor heimischen Publikum für sich auslegt und es heißt: „Seht euch die westlichen Werte an, die sogar Rassismus und Beleidigung schützen!“ Rein rechtlich gesehen hätte Merkel das Strafverfahren nach Paragraf 103 verweigern können und selbst zeigen können, dass auch sie sich nicht alles bieten ließe. Erdogan bliebe schließlich immer noch als Privatmann rechtliche Schritte einzuleiten.
Insgesamt wird es wahrscheinlich keine Gewinner geben, nicht mal die Satire selbst. Denn vielleicht muss man doch nochmal dahin zurück gehen was Satire alles darf und was nicht. Viele zitierten reflexartig den berühmten Satz von Tucholsky: „Was darf Satire? Alles.“ Darf sie also wirklich alles? Nein. Denn liest man Tucholsky genauer steckt er für Satire gewisse Grenzen ab, auch wenn sie „beißt, lacht, pfeift und trommelt“. All das kann man klar Böhmermanns Gedicht zuschreiben. Weiter heißt es bei Tucholsky: „Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht.“ Dies gilt sicherlich auch für Böhmermanns Gedicht. Der wichtigste Punkt Tucholskys aber ist: „Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird“. Das ist das einzige Problem an Böhmermanns Gedicht, denn über manchen Wahrheitsgehalt lässt sich sicherlich streiten und mancher ist sicherlich frei erfunden. Was Böhmermanns Gedicht nicht zu Satire werden lässt.
Dennoch heißt es für Satire, dass sie alles darf, aber nur im Rahmen der Wahrheit. Lügen und Beleidigungen gelten nicht als Satire und daher kann man das Gedicht nicht als Satire auslegen. Es läuft vielmehr unter der Rubrik Schmähkritik, was er auch bevor er das Gedicht vorträgt als solche benennt. Und da liegt eigentlich auch der größte Coup an Böhmermanns Vortrag und könnte ihm letztendlich vor schlimmeren bewahren. Er weißt das Gedicht, bevor er es vorträgt, als Schmähkritik aus, als Beispiel dafür, was im Gegensatz zu Satire in Deutschland nicht erlaubt ist. Genauso dürfte dann kein Professor seinen Studenten mehr ein Beispiel für Schmähkritik vortragen.
Ziemlich genau zeigt Böhmermann vorab die möglichen Folgen, die daraus entstehen können. Er nimmt vorneweg, dass wenn es veröffentlicht wird, wieder gelöscht werden kann und er möglicherweise einen Prozess an den Hals bekommt. Ziemlich genau dies ist alles eingetroffen. Von daher kann man annehmen, dass Böhmermann sich durchaus bewusst war, was auf ihn zukommen konnte, wenn auch nicht im ganzen Umfang.
Nun ist Böhmermann nicht der Satiriker wie die Macher von Extra 3, aber auch nicht der Komiker wie die Macher von Circus Halligalli. Er ist irgendwie beides und nichts von beidem und zeigte schon im Fall Varoufakis wie schnell er die Medien hochkochen lassen kann. Jetzt allerdings lässt er die Politik und Gesellschaft richtig hochkochen. Ob Absicht oder nicht, Böhmermann zeigt was oft in den Diskussionen stattfindet bzw. nicht stattfindet. Es wird oft und viel diskutiert, mal mehr, mal weniger schrill, aber oft genug am Kern der Sache vorbei.
Die eigentlich Satire an der ganzen Geschichte ist doch, dass sich reflexartig viele für Böhmermann und Meinungsfreiheit aussprechen, für Satire, die keine ist. Plötzlich wird Schmähkritik zu Satire und Beleidigung zu Meinungsfreiheit. Dient es der Sache Hauptsache Erdogan eins auszuwischen? Und stößt es so manchen auf, dass sogar ein vermeintlicher Despot hierzulande Rechte besitzt, auch wenn sie aus Kaiserzeiten stammen? Dann zeigt uns Böhmermann, gewollt oder nicht, indirekt auf, dass wenn es uns passt unsere Werte, wenn es einer Sache dienlich ist, gern bereit sind zu verraten.