Der CDU Bundesparteitag 2022 hat wenig überraschendes gebracht. Die CDU wirkt nicht sonderlich geistreich, zumindest diejenigen, die momentan die Richtung vorgeben. Die Union ist eine Partei im Leerlauf, die sich gegen den Zeitgeist stellen will.

Ukraine-Krieg, Europa oder Klimakrise sollten doch einen hohen Stellenwert innerhalb jeder demokratischen Partei haben oder nicht? Momenten wohl nicht zwingend für die Union. Übergeordnet waren folgende Themen: Gendern, Quote und Öffentlich Rechtlicher Rundfunk. Große Themen, die die Welt bewegen. Zumindest wenn man in der kleinen, „heilen“ Welt der Union lebt, welche unentwegt durch den gesellschaftlichen Fortschritt bedroht wird.


Wie klein die Welt der Union ist, hatte die Rede des Vorsitzenden der Schwester(!)-Partei der CDU gezeigt. Markus Söder gab eine Rede von sich, welche so abgedroschen war, dass diese wahrscheinlich nur im Bayreuther Bierzelt bei der fünften Maß gezogen hätte. Selbst der CSU-Chef wirkte zwischenzeitlich so, als würde er den Inhalt seiner Rede gar nicht glauben. Das änderte nichts und den Beifall gab es dennoch. Was auch wieder viel über die Union aussagt. Wenig Überzeugung ist schon Anerkennung genug, Leerlauf wird beklatscht.

Es ist allerdings entlarvend, welche Angst da geschürt wurde. Für Markus Söder ist die Ampel das große Ärgernis, na ja eher der Teufel. Und der Hauptgegner ist schon lange nicht mehr rot, sondern grün. Laut Söder würde alles nur über Verbote geregelt, aber wenn es um Legalisierung von Cannabis geht, müsse man dies verhindern. Also verbieten.

Sein Wissen entlehnt Söder mal eben aus „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und es dürfe nicht passieren, dass dies zur Regel wird. Es mag ein hehres Ziel sein Menschen vor einer Schleife des Abstiegs durch Drogenkonsum zu bewahren. Allerdings ist es unehrlich, da es eigentlich nur um Cannabis geht. Es ist deswegen unehrlich, da man Söder oft genug mit der der Maß Bier in der Hand sieht. Der Abstieg durch übermäßigen Alkoholkonsum ist bei weitem nicht milder und aus einer logischen Konsequenz müsste sich der CSU-Chef auf für ein Alkoholverbot aussprechen. Am Ende geht es nur um Fundamentalopposition - Hauptsache dagegen.

Carsten Linnemann hatte in einer seiner Reden das Individuum so stark betont, dass man fast meinen könnte, Menschen würden jeweils nur allein in der weiten (eigentlich kleinen) Welt (der Union) leben. Die Union setze das Individuum über das Kollektiv. Da ist es schon ironisch, dass gerade Friedrich Merz die Frauenquote durchgesetzt hat. Eine Quote, die von einer nicht kleinen Anzahl in der Union abgelehnt wurde. Schließlich, so ist teilweise die Argumentation, werden Individuen eingeschränkt und nicht aufgrund ihrer Leistung ausgewählt. Aber frühere Beispiele in der Bundestagsfraktion und Regierungsbank zeigten, dass Können nicht unbedingt nötig bei der Union ist, sondern Hauptsache großspuriger Mann.

Man könnte natürlich auch darüber spekulieren, warum sich gerade jetzt Merz für eine Quote einsetzt und es am Ende auch nur eine Sparversion ist. Der große Wurf ist das eigentlich auch nicht. Die Quote soll nach und nach kommen und erst mal für fünf Jahre gelten. Wahrscheinlich ist es einerseits das Kalkül einen Teil der Basis nicht zu sehr zu vergrätzen. Nämlich den Teil, der die Quote ablehnt und sich mit einer Quote light irgendwie abfinden können. Andererseits das Kalkül die Union auch für Frauen für die nächste Bundeswahl attraktiv zu machen. Das Individuum Merz strebt natürlich das Kanzleramt an. Eine langfristige Neuausrichtung der Partei erscheint da eher nachrangig.

Aber um am Ende die weniger liberalen Kräfte der Partei zu befrieden, wird gegen das Gendern und den öffentlich rechtlichen Rundfunk agitiert. Die Parolen könnten auch teils von der AfD stammen, zumindest sind die Aussagen äußerst rechtskonservativ. Den Öffentlichen soll das Gendern verboten werden, da sie keine Umerziehungslager seien. Das dies die Pressefreiheit einschränkt und die Staatsferne des öffentlich rechtlichen Rundfunks untergräbt, ist ein hinnehmbares Kalkül. Am Ende ist es wahrscheinlich nur heiße Luft, da Merz dadurch im Gespräch bleibt – egal ob gute oder schlechte Presse, Hauptsache Presse.

Als der letzte CDU-Chef gegen den öffentlich rechtlichen Rundfunk moserte, warf er das Land langfristig um Jahre in der Digitalisierung nach hinten. Helmut Kohl fand den öffentlichen Rundfunk damals auch schon zu links und setzte daher auf das Kabelfernsehen, anstatt auf den bereits beschlossenen Glasfaserausbau, der heute Jahre hinterher hinkt.

Interessanterweise beendete Linnemann eine seiner Reden mit folgendem Sinngehalt: Der Zeitgeist ist irrelevant, relevant seien nur unsere Werte. Dabei bleibt es natürlich völlig offen, wer diese Werte eigentlich verkörpert. Die Gesellschaft oder eben die Union. Am Ende ist es wahrscheinlich die Union, welche die Werte bestimmt. Werte sind ja schließlich ein Markenkern der Union. Man erinnere sich nur an Wertekanon oder WerteUnion. Aber ob all diese Werte so gelebt werden, Stichwort Maskendeals, ist ein anderes Blatt Papier.

Da scheinbar das Individuum so wichtig ist, ist das Durchsetzen eines verpflichtenden „Gesellschaftsjahres“ doch eher verwunderlich. Das Individuum, natürlich jung, soll sich engagieren, fürs Kollektiv versteht sich. Man könnte jetzt dagegen argumentieren, dass mit Kollektiv gar nicht die Gesellschaft, sondern mit Kollektiv sei die „Gleichmacherei“ gemeint. Allerdings wird das Individuum mit einem verpflichtenden Jahr nicht mehr seiner eigenen Entfaltung überlassen, sondern der Formung durch Werte, welche die Union festlegt. Eine Gleichmacherei im Dienste der Gesellschaft?

Der Parteitag war irgendwie davon geprägt die Partei zu einen und das Individuum Merz zu stärken. Aber irgendwie wirkte so manches gegensätzlich und halbherzig. Das Machtvakuum nach Angela Merkel scheint irgendwie doch größer zu sein, als gedacht. Lobend muss man wohl dennoch anerkennen, dass es mal wieder, für CDU-Verhältnisse, ordentliche Debatten auf  einem CDU Parteitag gab. Aber die CDU ist weit davon entfernt sich in der Nach-Merkel-Ära gefunden zu haben. Allein mit leeren Hülsen von Werten und linksgrünen Ängsten ist noch keine Politik gemacht. Denn dann verwaltet man am Ende, sofern man wieder an die Macht kommt, nur die Fortschritte der Vorgängerregierungen und wird diese als eigene Erfolge verbuchen.

In Ahrenshoop konnte man folgenden Spruch lesen: „Den Zeitgeist leben, die Tradition bewahren.“ Viel Wahres steckt darin. Denn Gesellschaft ist immer in einem steten Wandel. Eine Gesellschaft ohne Wandel ist eine tote Gesellschaft und wird verarmen. Traditionen sind das Bindeglied in die Vergangenheit. Aber auch Traditionen können von einer Gesellschaft zum alten Eisen befördert werden. Aber am Ende bestimmt dies immer noch die Gesellschaft, nicht einzelne politische Parteien, die es gerne bestimmen würden. Sonst laufen diese selbst Gefahr vom Zeitgeist überholt zu werden.