Der Juni bot in Europa mit einigen schweren Gewittern auf. Starkregen, Hagel, Windböen waren das Standardrepertoire der Gewitterlage. Am 24. Juni 2021 gab es  allerdings in Tschechien einen starken Tornado, der eine Schneise der Verwüstung hinterließ. Ungewöhnlich? Nicht zwingend.

Gewitter sind auf der einen Seite interessante Naturphänomene, aber eben gefährlich zugleich. Ob Blitzschlag oder Schäden durch Windböen, ein Gewitter sollte niemals unterschätzt werden. Gerade dann, wenn sich ein Tornado ausbildet.
Tornados sind im Vergleich zu Gewittern seltener, denn nicht jedes Gewitter bringt (zum Glück) einen Tornado hervor. Und aus Europa hört man weniger von Tornados, wenn dann überhaupt aus den USA. In Europa kenne man das ja eigentlich gar nicht und sowieso seien diese wenn überhaupt „kleiner“ als die in den USA. Gerade jetzt in der aufgeheizten Atmosphäre um die anthropogen verursachte Klimaerwärmung kam schnell der Wink: Das ist der Klimawandel!/Das ist die Klimaerwärmung!
Diese Aussagen sind aber in mehreren Schichten problematisch. Einerseits sind Tornados keine übermäßige Seltenheit und zweitens sind sie nicht wirklich „kleiner“ als in den USA. Einen Tornado klein oder groß zu benennen ist auch eher ungünstig. Man sollte eher von schwach oder stark sprechen. Die räumliche Ausbreitung ist meist nie groß, aber die erreichten Windgeschwindigkeiten können sehr unterschiedlich stark ausfallen.
Tornados können durch ein Dorf ziehen, wobei die eine Hälfte durchpflügt wird und die andere fast nichts mitbekommt. Ein Vorher/Nachher Satellitenbild zeigt die zwar 26km lange, aber doch sehr kleinräumige Spur der Verwüstung des Tornados aus Tschechien.

https://twitter.com/MetMattTaylor/status/1410340477287677958?s=20

Also sollte man einerseits keine Unterscheidung zwischen den USA und zum Beispiel Europa machen. Die Physik, obwohl noch nicht 100% verstanden, die hinter der Entstehung von Tornados steht ist überall auf der Welt identisch. Bereits 2002 gibt das Buch „Handbook of Weather, Climate, And Water“ einen Hinweis darauf: „Recent studies have indicated that probability of a particular reported tornado being strong or violent is approximately the same over most of the world“. Das heißt, starke Tornados sind auch in Europa nicht unüblich. Und ein weiterer Punkt ist hier „a particular reported tornado“, also den einen speziellen beobachteten Tornado!
Das heißt Tornados müssen am Ende visuell beobachtet werden. Daher ist die Datenlage um eine klare Aussage über einen Trend zu machen immer etwas schwierig. Tornados treten mit höherer Wahrscheinlichkeit auf, als das man sie beobachtet. Auch wenn man zum Beispiel mit Radartechnologie Signale in Gewitterzellen identifizieren kann, die auf einen Tornado hindeuten, heißt das nicht zwingend, dass es ihn tatsächlich gegeben hat. Der Tornado selbst kann dann nur durch direkte Beobachtung verifiziert werden oder durch ein Schadensbild vor Ort. Letzteres kann zwar eindeutig sein, muss aber von Experten begutachtet werden.
Ein Tornado in einem unbewohnten Teil der Erde wird also weniger Beachtung finden, als ein Tornado in einer bewohnten Gegend. Ein plötzlicher Anstieg der Fälle kann aber auch noch ganz andere Gründe haben: fortschreitende, portable Technik. Heutzutage besitzen sehr viele Menschen ein Kamera in ihrem Smartphone und können schnell Bilder oder Videos aufzeichnen. Dies war vor nicht all zu langer Zeit nicht in diesem Ausmaß möglich. Das heißt, allein die Technologisierung kann mehr Tornados zu Tage bringen. Das macht es schwierig eine Aussage über einen Trend zu machen. Diese Aussage wird durch eine jährliche natürliche Variabilität erschwert.
Starke Tornados gab es immer mal wieder in Europa und in Deutschland. Wenn man sich auf der Webseite tornadoliste.de umsieht, wird man überrascht sein, wie viele Tornados es allein in Deutschland pro Jahr gibt. Allein dieses Jahr (Stand 23.7.2021) gibt 12 bestätigte, 8 plausible und 126 Verdachtsfälle. Natürlich überwiegend schwächere, aber eben nicht so selten, wie man im ersten Moment denkt.
Die besonders starken Tornados fallen, sofern sie Siedlungen treffen, besonders stark bei der Berichterstattung auf. Ob ein Tornado stark oder schwach ist, wird anhand der Windgeschwindigkeiten ermittelt. Aber diese können meist nur im Nachhinein bestimmt werden. Und zwar aufgrund des Zerstörungsgrades. Windgeschwindigkeiten zwischen 300 und 400, wie es schätzungsweise bei dem Tornado in Tschechien der Fall war, treten nur bei stärkeren Exemplaren auf. Das sind Windgeschwindigkeiten, bei denen selbst massive Häuser schweren Schaden nehmen.  Daher wird auch eher über diese berichtet, sofern sie eine Siedlung treffen. So wurde zum Beispiel schon sehr detailliert über einen Tornado aus dem Jahre 1764 berichtet: https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Der-Jahrtausendtornado-von-Woldegk-vom-29-Juni-1764,tornado236.html
Auch der Blick in die Liste, die auf Wikipedia bereit gestellt wird, lässt nicht unbedingt den Schluss zu, dass es kaum bis gar keine (starken) Tornados in Deutschland gegeben hat: https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_European_tornadoes_and_tornado_outbreaks
Aber auch in jüngerer Geschichte gab es in Deutschland vergleichbar starke Tornados wie der in Tschechien. Einer der bekannteren Tornados ist der in Pforzheim (https://unwetteragentur.de/f4-tornados-in-europa-ungewoehnlich). Daher sind selbst die vermeintlich starken Tornados gar nicht mal so unwahrscheinlich.
Und nun die Klimaerwärmung? Nach so einem Phänomen wird sehr schnell die Frage gestellt: ist das jetzt die Klimaerwärmung? Aber auch sehr schnell geschlussfolgert: Das ist die Klimaerwärmung! Aber das ist insgesamt eine doch eher problematische „Klarstellung“. Warum? Einzelne spezielle Extremwetterereignisse sind nicht Folge des Klimawandels. Heißt kausal kann kein einzelner Tornado der Klimaerwärmung zugeordnet werden. Was die Klimaerwärmung aber ändern kann, ist die Häufigkeitsverteilung der Extremereignisse. Also treten diese nun häufiger, weniger oder gleich oft auf.
Im Falle von Tornados muss man nicht allein auf die Tornados selbst schauen, sondern auch auf die „Ingredients“, wie es im Englischen heißt, oder besser gesagt die Zutaten, wie z.B. atmosphärische Instabilität und Windscherung.
Also müssen auf diesem Wege eigentlich zwei halbwegs getrennte Fragen gestellt werden. Erstens, hat die Klimaerwärmung bereits die Anzahl oder Stärke von Tornados verändert? Schwer zu sagen aufgrund der schon oben genannten Gründen. Die Trends sind wenig aussagekräftig und die natürliche Variabilität überdeckt dies noch. Selbst in den USA sind erst seit den 1950ern halbwegs ordentliche Beobachtung gemacht worden, aber auch dort gelten die oben genannten Gründe. Oft wurden Tornados wahrscheinlich übersehen. Und in anderen Ländern wie den USA ist die Datenlage eben noch ungünstiger (https://archive.ipcc.ch/publications_and_data/ar4/wg1/en/ch3s3-8-4-2.html).
Zweitens, wie sieht die Entwicklung für die Zukunft aus? Auch hier ist die Frage alles andere als leicht zu beantworten. Vorab muss einem klar sein, dass Klimamodelle keine einzelnen Tornados simulieren. Nicht mal verfeinerte Regionalmodelle, die mit globalen Klimamodellen angetrieben werden. Das heißt die Projektionen der Klimamodelle liefern keine Anzahl X an Tornados, die steigt oder sinkt, weil diese eben nicht explizit simuliert werden. Was man aber prinzipiell simulieren kann, sind die Zutaten. Mit den Ergebnissen der Klimamodelle kann man also nur eine Aussage über die Zutaten für Tornados machen.
Und da wird es dann schon wieder schwieriger. Ein Großteil der Klimamodelle projiziert eine Veränderung der Zutaten für Tornados. Aber die ist nicht unbedingt eindeutig in eine Richtung. Die Labilität nimmt zu, also führt die Erwärmung auch zu mehr verfügbarer Energie in der Atmosphäre. Folge daraus werden durchaus stärkere Extremwetterereignisse sein. Aber gleichzeitig projizieren die Klimamodelle im Mittel eine Abnahme der Windscherung, die eine unbedingte Zutat für Tornados ist. Das heißt letztendlich eine wirklich eindeutige Aussage kann so nicht gemacht werden. Eine Aussage ob Tornados häufiger und/oder intensiver werden ist also so einfach nicht zu treffen. Wenn man sich etwas stärker aus dem Fenster lehnen möchte, könnte man vielleicht sagen: Wenn Tornados in Zukunft auftreten besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie stärker ausfallen. Der Klimaforscher Georg Pistotnik hat es eigentlich ganz treffend formuliert: „Tornados sind Unfälle der Atmosphäre“ (https://science.orf.at/stories/3207319/).
Diese Unfälle der Atmosphäre sind bisher noch nicht bis ins Detail verstanden, auch wenn viel daran geforscht wird. Über Unfälle im Straßenverkehr können wir in der Zukunft auch keine genaue Aussage machen. Wir könnten diese nur anhand der Gegebenheiten abschätzen (Verkehrsdichte, Qualität der Infrastruktur, Gesetze usw.), aber ob dies genau so Eintritt, schon gar im Einzefall wissen wir nicht genau. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob Person X betrunken Auto fährt oder nicht. Ob diese dann entweder nur in den Graben fährt oder in den Gegenverkehr.
Daher ist es äußert schwierig, wie zum Teil geschehen, dass ein singuläres Ereignis so der Klimaerwärmung zuzuschreiben. Der Zusammenhang zwischen verschiedenen Extremwetterereignissen und der anthropogen verursachten Klimaerwärmung ist nicht immer eindeutig verstanden. Dies trifft vor allem für so kleinräumige Ereignisse wie Tornados zu. Dies kann man hier auf carbonbrief.org auch nochmal grafisch überblicken.
Singuläre Ereignisse sind also nicht monokausal der Klimaerwärmung zuzuordnen. Es  wird allerdings Aufgabe der Attributionsforschung sein, wie wahrscheinlicher das Ereignis durch die Klimaerwärmung wurde.

https://twitter.com/MetMattTaylor/status/1410340477287677958?s=20https://twitter.com/MetMattTaylor/status/1410340477287677958?s=20

 

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