Es war ein denkwürdiger Tag. Mal wieder. Mal wieder scheint sich die CDU/CSU der Würde des Bundestags nicht bewusst  zu sein - oder sie missachtet sie bewusst. Der Schaden ist so oder so angerichtet.

Man könnte fast meinen, auf der Regierungsbank der Union säßen komplette Politneulinge, ganz zu schweigen von der dahinterstehenden Fraktion. Regieren scheint eine anspruchsvolle Aufgabe zu sein, die die Union momentan nicht erfüllen kann oder will.

Zusagen scheinen wenig wert zu sein. Jens Spahn und Friedrich Merz hatten bereits grünes Licht zur Wahl drei neuer Verfassungsrichter gegeben. Man könnte denken, dass die Wahl dann nur noch ein Selbstläufer hätte werden sollen. Mit „Selbstläufer“ soll hier nicht der demokratische Prozess herabgewürdigt werden - im Gegenteil. Selbstläufer deswegen, da der eigentliche demokratische Aushandlungsprozess im Vorfeld abläuft. Oder zumindest ablaufen sollte. Dies scheint jedoch nicht der Fall gewesen zu sein.
Die Schwierigkeit liegt natürlich darin, im konkreten Fall die Kandidaten, die ausgewählt wurden, für die jeweils andere Fraktionen „schmackhaft“ zu machen. Klar kann man der SPD vorwerfen, warum sie eine von der Union kritisch gesehene Kandidatin aufstellt und damit die Wahl der Verfassungsrichterinnen und –richter gefährdet. Aber bereits im Wahlausschuss wurden die Kandidaten mit einer zweidrittel Mehrheit dem Plenum vorgeschlagen. Die Arbeit lag nun bei den Fraktionsvorsitzenden ihre Fraktionen auf Linie zu bringen.
Als klar wurde, dass 40 Abgeordnete nicht für die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf stimmen wollten, wäre es die Aufgabe des Fraktionsvorsitzenden gewesen, die Fraktion zu disziplinieren. Auch ein Machtwort des Kanzlers und Parteivorsitzenden Merz half nicht und zeigt das Bild einer führungslosen Partei.

Was kann man auf der anderen Seite von einem Kanzler erwarten, der bisher keine Regierungserfahrung hatte und sich nur in der Opposition profilieren konnte? Regierungsarbeit ist am Ende des Tages mehr als nur halbwegs gute Reden zu halten und auf die Regierung einzudreschen. Zurückweisungen, Kränkungen - der Weg an die Spitze war keine einfacher für Merz. Auch der Weg und die Wahl zum Bundeskanzler waren geprägt von Täuschung, Enttäuschung, gebrochenen Versprechen und Wendungen. Gegenüber Merkel, die eine absolute Machtpolitikerin war, wirkt Merz geradezu wie ein tolpatschiger Lehrling. Darüber können auch außenpolitische Termine nicht hinwegtäuschen. Und dann kann er sich nicht einmal auf einen seiner wichtigsten Partner verlassen – Jens Spahn.

Der Fraktionsvorsitzende der Union müsste seinem Kanzler und damit auch der bestehenden Koalition den Rücken stärken. Vor allem, wenn man mit dem Anspruch angetreten ist, alles besser als die Ampel zu machen. Aber nach noch nicht mal zwei Monaten ist dieses Versprechen offenbar nicht mehr zu halten. Der Streit über die Wahl einer möglichen Verfassungsrichterin wird auf offener Bühne ausgetragen.

Man kann sich nun fragen, ob Spahn es nicht konnte oder nicht wollte. Beides ist schlimm genug. Wenn er es nicht konnte, ist er für ein politisches Amt nicht geeignet. Vor allem vor dem Hintergrund der Maskenaffäre. Erst kostet er dem Steuerzahler Milliarden Euro, er vermasselte eventuell schon die Kanzlerwahl und jetzt beschmutzt er das oberste Gericht dieses Landes - und kann gleichzeitig keine Mehrheiten beschaffen. Ein Dilettant, der nur den Glanz und die Vorteile des politischen Amtes mitnehmen möchte? Möglich.
Aber was, wenn er es wollte? Wenn er das Chaos sucht und es bewusst hat laufen lassen? Dafür spricht, dass die 40 Abgeordneten, die nicht für Brosius-Gersdorf stimmen wollten, demselben Flügel angehören, dem er selbst angehört. Dass dieser „Unmut“ unterhalb seines Radars einfach so ablaufen kann, klingt wenig glaubhaft. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Spahn als gut vernetzter Politiker gilt. Natürlich nimmt das Amt des Fraktionsvorsitzenden viel Zeit in Anspruch, aber dazu gehört es auch, die Stimmung der Fraktion zu kennen. Und die kennt er möglicherweise gut. Es ist also unwahrscheinlich, dass er hiervon nichts wusste.

Spahn ist ambitioniert. Das er Bundeskanzler werden möchte, daraus macht er keinen Hehl. Er ist rechtsoffen und macht daraus auch keinen Hehl. Er würde gerne die AfD normalisieren („anderer Umgang im parlamentarischen Betrieb“) und sieht sie sogar als alternativen Koalitionspartner.

Möglicherweise ist er sogar so ambitioniert, dass er als jüngster Bundeskanzler der Geschichte eingehen möchte. Die bisher jüngste Amtsinhaberin war Angela Merkel mit 51 Jahren. Spahn ist jetzt 45 und hätte also noch gut 5 Jahre Zeit. Nach dieser Legislaturperiode hätte er durchaus noch die Möglichkeit dazu. Aber man muss sich die Frage stellen: Wäre das realistisch? Nicht ausgeschlossen, dass Friedrich Merz es noch einmal versuchen würde - dann müsste Spahn noch länger warten. Will er vielleicht gar nicht. Vielleicht will er ja, dass die momentane Koalition aus Union und SPD scheitert und er als eine Art Retter „den Karren aus dem Dreck zieht“. Auch mit Hilfe einer Koalition oder zumindest Duldung durch die AfD.

Anders lässt sich dieses Verhalten kaum erklären. Die USA hat es gezeigt, dass nicht unbedingt sichtbare Kompetenz ausschlaggebend sein muss, um Wahlen zu gewinnen. Parolen scheinen manchmal auszureichen. Und nicht nur das. Bestehenden Institutionen, wie das Verfassungsgericht, werden in den Schmutz gezogen.

„Filling the room with shit“ - Es ist die Methode der Rechten, unliebsame Personen zu verunglimpfen (wobei dies noch zu harmlos klingt), um entweder das Amt, für das sie stehen, zu beschädigen und/oder die Person selbst anzugreifen. Die Angriffe auf die Person strahlen natürlich weiter, da sie nicht nur der betroffenen Person gelten, sondern allen, die nicht ins Bild passen. Das auf einmal - „rein zufällig“ - am Tag der Wahl dubiose Plagiatsvorwürfe aus dem Hut gezaubert werden, ist das eine. Dass der Urheber dieser Veröffentlichung selbst gar keine Plagiatsvorwürfe erhebt, ist das andere. Der Vorwurf wird aber in so manchen Köpfen hängen bleiben, egal ob etwas daran überhaupt wahr ist. Und das sich die Union von rechten Netzwerken vor diesen Karren hat spannen lassen, verheißt nichts Gutes für die Zukunft. Im schlimmsten Fall droht eine Spaltung der CDU. Etwas, das die Bundesrepublik noch weniger gebrauchen kann.

Und die SPD? Die sollte, auch wenn sie nur der Juniorpartner in dieser Koalition ist, standhaft bleiben. Vor allem die Kandidatin Brosius-Gersdorf muss unterstützt werden. Nicht nur, weil sie sich einer rechten Schmutzkampagne ausgeliefert sah, sondern auch als Zeichen für andere (vor allem Frauen), die sich in einem öffentlichen Amt engagieren wollen. Auch so stärkt man Demokratie.